Experteninterview mit Ingeborg Stadelmann

Zur aktuellen Situation der Hebammen und den Ergebnissen der Studie äußert sich Hebamme und Buchautorin Ingeborg Stadelmann. Die Verfasserin der „Hebammen-Sprechstunde“ appelliert dabei an die Politik, Mütter und die eigenen Reihen.

Ingeborg Stadelmann ist Hebamme, Autorin, Verlegerin und Referentin. Ihr Buch „Die Hebammen Sprechstunde“ gehört zu den erfolgreichsten Ratgebern zum Thema Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett.

1. Was sind Ihrer Meinung nach Gründe für den Mangel an Hebammen und was kann dagegen getan werden?

Die Gründe für den derzeitigen Mangel an Hebammen sind vielfältig. Derzeit findet die theoretische Ausbildung zur Hebamme noch an Hebammenschulen statt und teilweise als Hochschulstudium; der praktische Teil wird in Krankenhäusern realisiert. Zunächst einmal müsste meiner Meinung nach die Hebammenausbildung weg von der Geburtsmedizin zurück zur Hebammenhilfe. Dann also auch ab 2020 wie geplant in Gesamtdeutschland an von Hebammen- Professorinnen geleiteten Hochschulen. Praxiserfahrung ist in unserem Beruf einfach der wichtigste Faktor, denn die vielseitigen Facetten des Hebammenberufs erlernt frau nur auf diesem Wege. Gleichzeitig müsste dann aber für die freiberuflichen Hebammen ein Anreiz geschaffen werden, Hebammenstudentinnen aufzunehmen und auszubilden, z.B. in Form einer Vergütung.

Die Politik ist auch gefragt, wenn es um das derzeitige Abrechnungssystem für Geburten geht. Hebammenleistungen in Kliniken werden mithilfe des sogenannten DRG Abrechnungssystems pauschal abgerechnet. Die Geburt eines Kindes lässt sich aber nicht pauschalisieren. Manche Geburten ziehen sich über viele Stunden, andere sind innerhalb von zwei Stunden geschehen. Wichtig hierbei ist es, Übergangsregelungen zu finden, um Chaos zuvermeiden, wie es im vergangenen Jahr bei den Beleghebammen mit der Auflage einer 2:1 Betreuung geschah.

 

Laut der 2017 eingeführten Gebührenverordnung dürfen freiberufliche Hebammen, die in Krankenhäusern als Beleghebammen arbeiten, nur noch zwei Frauen gleichzeitig betreuen, bzw. abrechen, ungeachtet der aktuellen Situation in der Klinik. Daher werden in den Wehen liegende Frauen von einem Krankenhaus zum nächsten geschickt – und das geht gar nicht! Eine Frau in den Wehen hat andere Sorgen und sollte nicht noch zusätzlich belastet werden. Auch hier sind wieder politische Entscheider gefragt, es müssen Lösungen gefunden werden – und wenn es erst einmal Sonderverordnungen für solche Fälle sind, die eine zusätzliche Aufnahme und Vergütung ermöglichen. Parallel muss in Kliniken natürlich das Personal aufgestockt werden. Das aber können bei dem derzeitigen Stand eben nicht immer Hebammen sein, jedoch kann auch eine „Sekretärin“ und eine zusätzliche Hilfskraft der Hebamme sicherlich viel Nebentätigkeit von der Schreibarbeit bis zum Medikamentennachschub und andere organisatorische Arbeiten abnehmen.

 

Ich erwarte aber auch von meinen Kolleginnen ein gewisses Entgegenkommen und nicht nur permanentes Handaufhalten. Ganz klar: Niemand soll umsonst arbeiten, eine angemessene Bezahlung ist Grundvoraussetzung. Aber gerade der Beruf Hebamme geht mit einer gewissen Ideologie einher und fordert, ich will es einmal so ausdrücken, Demut. Hebamme zu sein bedeutet sehr viel mehr als nur Geld zu verdienen, es geht darum, Leben in diese Welt zu verhelfen. Und das ist meiner Meinung nach ein großes Glück, das unser Berufszweig wertschätzen muss. Sicherlich, lange Anfahrtszeiten zu den Frauen beim Hausbesuch oder die Arbeit an Wochenenden und Feiertagen bedeuten manchmal Einschränkungen. Unser Beruf bietet aber auch genauso viele Freiheiten. Ich habe die Fahrten zu den Frauen beispielsweise immer genossen. Das ist Zeit, die die Hebamme für sich selber hat, in der man Landschaft und Natur genießen und heutzutage dank Freisprechanlage den ein oder anderen Anruf erledigen und Praxisangelegenheiten koordinieren kann. Oder wer hat schon das Privileg, die Geburt eines echten „Christkinds“ an Heiligabend zu erleben? Wir erfahren in unserem Beruf so viel Glück, so viel Freude, da kann es nicht nur ums Geld gehen.

 

Aber zurück zu den Gründen für den Hebammenmangel. Problematisch ist darüber hinaus, dass sich viele ausgebildete Hebammen aus ihrem Beruf zurückziehen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dabei ein entscheidendes Thema. Viele Hebammen werden irgendwann selber Mütter und widmen sich ihrem Nachwuchs. Ich kenne viele Kolleginnen, die sagen, dass sie ihren Beruf in einem geringeren Umfang parallel gerne wieder aufnehmen würden. Dies bringt steuertechnisch jedoch so hohe Abgaben mit sich, dass es sich finanziell schlicht und ergreifend nicht lohnt. Daher orientieren sich viele Hebammen nach der Geburt ihres eigenen Kindes beruflich um. Gleichzeitig appelliere ich aber auch hier an meine jungen Kolleginnen und auch deren Lebensgefährten für mehr Einsatz: Dass eine ausgeglichene Work-Life-Balance in unserem Beruf eher schwierig ist, darüber sollten sich Frauen vor Antritt der Ausbildung bewusst sein und auch die zugehörigen Lebensgefährten müssen sich klar machen, was es bedeutet, eine Hebamme zur Partnerin zu haben. Babys werden eben nicht ausschließlich montags bis freitags zwischen 9:00 und 17:30 Uhr geboren, da bedarf es auch einer Solidarität innerhalb einer Beziehung.

 

Im Grunde müssen die Weichen dafür gestellt werden, dass Frauen den Beruf der Hebamme langfristig und gerne ausführen. Eine zusätzliche Entlastung für Hebammen könnte auch durch sogenannte Wochenbettpflegerinnen geschaffen werden. Diese sind ausschließlich für die Wochenbettbetreuung zuständig und könnten mit Familienpflegerinnen für Großfamilien kombiniert werden, die die Wöchnerinnen im Haushalt unterstützen. Dieses Modell gibt es beispielsweise sehr erfolgreich in den Niederlanden.

2. Ein Drittel der Frauen ohne Nachsorgehebamme wusste nichts von ihrem gesetzlichen Anspruch. Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um Frauen ihren Anspruch vor Augen zu führen?

Ich habe da schon seit Jahren eine ganz einfache Idee: Warum nicht direkt auf den Schwangerschaftstest den Hinweis „Haben Sie schon Kontakt zur einer Hebamme aufgenommen? Sie haben gesetzlichen Anspruch!“ aufdrucken?
Ansonsten sollten natürlich Gynäkologen, Krankenkassen, Krankenhäuser und Kliniken informieren. Vielfach passiert das bereits, aber die Zahlen zeigen ja, dass anscheinend immer noch Aufklärungsbedarf besteht.

 

3. Wann sollten Mütter mit der Suche nach einer Hebamme beginnen?

Das kann man so nicht pauschalisieren, das hängt auch immer von der Frau selbst und den Umständen ab. Erstgebärende haben meist viel mehr Fragen als Zweitgebärende und möchten möglichst früh den Rat einer Hebamme einholen. Die frühe Suche macht dabei die Situation aber nicht unbedingt besser – im Gegenteil, sie erhöht eher den Stress, sowohl für die Schwangere als auch für die Hebamme. Im Grunde ist es ein Teufelskreis: Der Mangel an Hebammen sorgt für ein regelrechtes Wettrennen um Hebammen, sobald Frauen erfahren, dass sie schwanger sind.

Es muss im Endeffekt also dem Mangel an Hebammen entgegengewirkt werden, um die Suche für alle Beteiligten entspannter zu gestalten.

Gerade in heutigen Zeiten der digitalen Vernetzung sollte es eigentlich für kommunale Einrichtungen möglich sein, werdende Mütter bei der Suche nach einer Hebamme zu unterstützen. Eine zentrale Anlaufstelle, die freie Termine in Krankenhäusern und Geburtshäusern sowie bei freiberuflichen Hebammen koordiniert und vermittelt, wäre eine gute Möglichkeit, beide Seiten zu entlasten.

4. Medizinische Fragen zum Kind sind wichtigstes Thema für Mütter in der Nachsorge, gefolgt von
der Säuglingspflege und Stillen. Doch auch auf die eigene Person bezogen ist die Hebamme für viele Frauen wichtiger Ansprechpartner und emotionaler Beistand. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht? Welche Thematik ist Ihrer Meinung nach die wichtigste zwischen Mutter und Hebamme?

Für mich ist der emotionale Beistand ganz eindeutig der wichtigste Faktor in der Wochenbettbetreuung durch eine Hebamme. Denn nur wenn es der Mutter gut geht, kann es auch dem Kind gut gehen. Für mich steht im Normalfall daher das Wohlergehen der Mutter immer an erster Stelle, erst danach kommt das Kind. Das sollten sich auch immer wieder die anderen Familienmitglieder vor Augen führen. Die frisch gebackene Mutter nach der Geburt zu unterstützen und für sie da zu sein sollte für alle im Fokus stehen; die Mutter wird die daraus resultierende Ausgeglichenheit automatisch an das Kind weitergeben.

Es wundert mich eigentlich ein wenig, dass emotionaler Beistand erst an sechster Stelle für die Mütter steht. Andererseits spiegeln die Ergebnisse auch sehr schön die Entwicklung der Gesellschaft wieder: Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle. Frauen sind heute emanzipiert, sie machen Karriere, sie haben alles im Griff. Dementsprechend wichtig ist Müttern diese Kontrolle auch in der Wochenbettbetreuung; sämtliche Fragen rund um das Kindeswohl müssen beantwortet werden. Ich appelliere an die Frauen: Habt ein bisschen mehr Vertrauen! Frauen bringen seit Jahrtausenden Kinder zur Welt, ihr kriegt das auch hin. Die Bindung zwischen Mutter und Kind ist eine ganz besondere, lange währende Einheit. Dieses Urvertrauen wünsche ich heutigen Müttern zurück.

„Eine ausgewogene Work-Life-Balance ist für Hebammen schwierig: Babys werden eben nicht ausschließlich montags bis freitags zwischen 9:00 und 17:30 Uhr geboren.“

Ich appelliere an die Frauen: Habt ein bisschen mehr Vertrauen!

Hebamme und Buchautorin Ingeborg Stadelmann

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Im Auftrag der kartenmacherei sowie in Zusammenarbeit mit
dem MarktforschungsinstitutSKOPOS wurden 1.000 Mütter rund um die Suche
nach einer Hebamme für dieNachsorgebefragt.

Kernergebnisse der Hebammen-Studie