Im Interview mit Marianne Ammann

Suchtexpertin Marianne Ammann vom Fachbereich Sozialwesen der FH Münster setzt sich seit Jahren für Aufklärung über Fetale Alkoholspektrum-Störungen (FASD) ein. 

Alkohol während der Schwangerschaft: Jede vierte werdende Mutter gefährdet ihr Kind
In Deutschland greift laut einer kanadischen Meta-Studie jede vierte Schwangere gelegentlich zu Bier, Wein und Co. Über Fetale Alkoholspektrum-Störungen (FASD) sprachen wir mit Suchtexpertin Marianne Ammann, Fachlehrerin am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule.

 


 

1.

Frau Ammann, dass Schwangere keinen Alkohol trinken sollen, ist doch eigentlich allgemein bekannt. Warum kommen trotzdem jedes Jahr in Deutschland ungefähr 10.000 alkoholgeschädigte Babys zu Welt?

Die toxische Gefahr von Alkohol wird nach wie vor vielfach unterschätzt, und dabei ist Alkohol für Babys im Mutterleib sogar wesentlich schädlicher als zum Beispiel Heroin! Selbst Ärzte oder Hebammen verbreiten gelegentlich noch die Ansicht, dass ein Gläschen ab und an nicht schade und gut sei, um etwa den Kreislauf anzukurbeln. Tatsächlich ist es aber so, dass schon geringe Mengen Alkohol beim ungeborenen Kind zu dauerhaften gesundheitlichen Schäden führen können. Es lässt sich absolut keine Grenze festlegen, bis zu welcher Trinkmenge der Konsum ungefährlich ist. Um ganz sicherzugehen, sollten Schwangere daher auf jeden Fall die gesamten neun Monate lang vollständig auf Alkohol verzichten!

 

2.

Woran erkennt man, ob ein Kind Schäden davongetragen hat, weil die Mutter während der Schwangerschaft Alkohol konsumiert hat?

Alkoholgeschädigte Kinder zeigen vielfältige Symptome, die in unterschiedlicher Ausprägung auftreten können. Zu den körperlichen Anzeichen gehören Kleinwüchsigkeit, eine kurze Lidspalte und ein abgeflachtes Philtrum – das ist die Vertiefung, die sich von der Nase bis zur Mitte der Oberlippe zieht. Häufiger treten jedoch sozial-kognitive Auffälligkeiten auf, wie etwa geistige Behinderung, verminderte Lern- oder Merkfähigkeit, niedriger IQ, Aufmerksamkeitsstörungen oder Probleme im sozialen Verhalten. Ein berühmtes Beispiel aus der Literatur ist übrigens Wilhelm Buschs Moritz. Er zeigt sowohl die typischen Gesichtszüge eines FASD-Kindes als auch Verhaltensweisen wie leichte Verführbarkeit oder mangelndes Bewusstsein über die Konsequenzen seines Handelns, die ebenfalls charakteristisch für Betroffene sind. Daher geraten FASD-Kinder auch häufig auf die schiefe Bahn und landen später in der Kriminalität oder in der Prostitution.

 

3.

Gibt es Therapien für alkoholgeschädigte Kinder?

Nein, leider sind durch Alkohol hervorgerufene Schäden unheilbar – und dabei zu 100 Prozent vermeidbar! Natürlich lassen sich Feinmotorik oder Sprachstörungen durch gezielte moto- oder logopädische Förderung verbessern, aber eine geistige Behinderung ist nun mal nicht therapierbar. Tatsächlich sind FASD-Kinder vergleichbar mit Demenzerkrankten. Sie können sich Erlerntes einfach nicht merken oder vergessen es immer wieder aufs Neue.

4.

Was muss sich ändern, um die Situation zu verbessern?

Die Prävention und Aufklärung über die Gefahren des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft muss noch weiter verstärkt werden. Bei Schülerinnen, jungen Frauen im gebärfähigen Alter und besonders bei werdenden Müttern. In Frankreich muss zum Beispiel die Verpackung jedes alkoholischen Getränks den Hinweis enthalten, dass es schädlich für ungeborene Kinder ist. Hier in Deutschland weisen nur einige Getränkehersteller freiwillig darauf hin. Das Bewusstsein für die Gefährlichkeit von Alkohol in der Gesellschaft muss sich einfach ändern.

5.

Und was, wenn trotzdem alkoholgeschädigte Kinder geboren werden?

Eltern, Pflegeltern und Fachkräfte müssen darin geschult werden, wie sie alkoholgeschädigte Kinder erkennen und am besten unterstützen können. Seit 2012 gibt es Leitlinien zur Diagnose von FASD, die eine Expertenkommission abgestimmt hat. Mit Studierenden habe ich zur Prävention und zum Umgang mit Betroffenen schon in verschiedenen Projekten Konzepte erarbeitet. Aktuell läuft unser Zertifikatskurs „FASD-Fachkraft“ für Teilnehmer unterschiedlicher Berufsgruppen, die in ihrer Institution als Multiplikatoren fungieren können. Für erwachsene FASD-Betroffene gibt es bisher nur vereinzelte Angebote. Hier sehe ich noch einen enormen Verbesserungsbedarf!

 Suchtexpertin Marianne Ammann vom Fachbereich Sozialwesen der FH Münster setzt sich seit Jahren für Aufklärung über Fetale Alkoholspektrum-Störungen (FASD) ein. (Foto: FH Münster/Pressestelle)

Bild- und Textdaten ©FH Münster, ©pexels
www.fh-muenster.de

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