Immer schneller,
immer mehr: Haben wir verlernt, uns Zeit für das Essen zu nehmen?
Morgens den Wecker überhört oder schnell die Kinder versorgt – keine Zeit zum Frühstücken. Wie gut, dass so ein Proteinshake schnell verzehrt ist. Wenn nicht gar die Mahlzeit komplett weggelassen wird. Und mittags ist es sowieso schwierig mit dem Essen. Lange Meetings, wichtige Termine, die Zeit rennt – wieder keine Zeit gehabt. Aber ein paar Energy Balls zwischendurch reichen, um den Tag zu überstehen. Und abends? Da kommen die privaten Verpflichtungen zurück. Und Lust, noch großartig zu kochen? Auch eher Fehlanzeige. Und so wiederholt sich das jeden Tag. Denn in unserer schnelllebigen Zeit gilt vermeintlich nur noch eins: immer schneller, immer mehr. Aber haben wir verlernt, uns Zeit für das Essen zu nehmen?
Zeit – Fluch und Segen zugleich
Es muss einfach alles schnell gehen. Das Internet ist schnell, das Smartphone ist schnell, beim Autofahren soll es schnell gehen und an der Kasse auch. Am besten ist es noch, gleichzeitig mehrere Dinge zu erledigen – das spart Zeit. Schnell anziehen und nebenbei etwas Nahrhaftes schlürfen. Mails checken und schnell etwas Essbares zuführen. Noch schnell den Bus erwischen und Nahrung hineinschieben. Immer schneller, immer mehr: Und schon schlingen wir unser Essen herunter – achtlos und ohne Genuss. Das hat aber zur Folge, dass wir uns der Sache „Essen“ gar nicht mehr widmen, sie nicht wertschätzen, sie nur als Mittel zum Zweck sehen. Aber wieso sollten wir uns überhaupt Zeit für etwas derart Einfaches und Banales wie Essen nehmen? Das große Problem ist wohl, dass wir glauben, tatsächlich keine Zeit mehr zu haben.
Genuss – von der Zeit verschlungen
„Frühstücken wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein König und Abendessen wie ein Bettler.“ Mit diesem Sprichwort sind wir wohl alle großgeworden. Und einem reich gedeckten Frühstückstisch können wohl auch die meisten nicht widerstehen, oder? In der Realität sieht es aber anders aus. Die wenigsten haben morgens Zeit, sich gemütlich hinzusetzen und zusammen in Ruhe zu frühstücken. Mal davon abgesehen, dass ein nahrhaftes Frühstück uns leistungsfähig macht und mit Energie für den Tag versorgt, ist es so viel mehr. Denn gemeinsames Essen ist eben nicht nur dafür da, den Hunger zu stillen oder satt zu werden. Dabei geht es auch um den Genuss, die Freude, die Gespräche und die Geborgenheit. Genuss und Wertschätzung bedeuten auch mal, sich Zeit zu nehmen – für den Mitmenschen und für das Essen. Und gerade in stressreichen Zeiten ist es wichtig, sich eine kleine (Genuss-)Pause zu gönnen. Wann haben wir das letzte Mal unsere Mahlzeit so richtig genossen? Im stressigen Alltag geht leider unsere Fähigkeit, zu genießen, verloren.
Essen – zwischen Bedürfnis und Genussmoment
Shakes, Energy Balls und Co. können auch lecker sein und das momentane Bedürfnis – nämlich Hunger – schnell und einfach stillen. Doch den Wunsch nach Zeit, Entspannung und Genuss können sie nicht erfüllen. Genuss macht aber glücklich und erhöht die Lebensqualität. Genuss schafft uns Verschnaufpausen. Und auch ein Mittagessen, für das man sich bewusst Zeit nimmt, hilft zumindest kurzzeitig, alles um sich herum zu vergessen. Und gemeinsam mit den KollegInnen macht das gleich noch mehr Spaß – auch digital! Oder den Tag bei einem schönen Abendessen ausklingen lassen. Wäre das nicht schön? Wir haben vergessen, richtig zu essen, gut zu essen, uns Zeit zu nehmen. Dabei ist bewusstes und langsames Essen Teil einer gesunden Lebensweise. Richtig, gründlich kauen gehört auch dazu. Und das kommt uns auch wieder bekannt vor. Von damals, als wir uns dafür noch die Zeit genommen haben. Oder mussten. Denn eigentlich haben wir das schon von klein auf mitbekommen. Aber gut, da hatten wir ja auch noch Zeit. Jetzt ist es was anderes. Schließlich gibt es Wichtigeres. Oder etwa nicht? Sich Zeit zu nehmen, ist eine in Vergessenheit geratene Tugend. Auch für das Essen. Es muss nicht immer alles schneller gehen, gut Ding braucht Weile. Das würde uns guttun. Zumindest ab und zu.
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Autorin: Paula Verbeek Terés