Entwicklungsförderung durch die Eltern

Wie ist mein Kind entwickelt? Woran kann ich mich orientieren? Wie kann ich mein Kind fördern?
Muss ich es überhaupt fördern? Thorsten Macha und Franz Petermann geben Antworten für die Entwicklungsbegleitung

 

Die Entwicklung eines Kindes erfordert im Normalfall keine „gezielte Entwicklungsförderung“, die über das hinausgeht, was Eltern ihrem Kind ohnehin intuitiv anbieten und ermöglichen. Natürlich gibt es ein paar Grundsätze, beispielsweise, dass ein Kind altersgerechte Anregungen erfährt: Es sollte weder unter- noch überfordert werden und dem Kind sollten „maßvoll unterschiedliche“ Angebote vorliegen, die das Kind in seinen Möglichkeiten einer bewussten, zielgerichteten Auswahl nicht „erschlagen“. So sollte das Angebot an Spielzeug zwar vielfältig, aber für das Kind überschaubar sein. Gleichzeitig sollte Spielzeug so zum Entwicklungsstand passen, dass das Spielen damit einen Gewinn für das Kind darstellt. Ein solcher „Gewinn“ kann entweder im Erlernen neuer Fertigkeiten oder in der Festigung, Verfeinerung und Verknüpfung bereits erworbener Fertigkeiten bestehen. Das Spielen weist aber auch wichtige emotionale Komponenten auf: Ritualisiertes Spielen mit Spielzeugen, die das Kind motorisch oder kognitiv nicht mehr besonders herausfordern, können es dennoch Beständigkeit, Vorhersagbarkeit, Sicherheit und Selbstwirksamkeit erleben lassen, wodurch es wichtige Kompetenzen zur Emotionsregulation erwirbt und festigt. In unserer Ambulanz für Kinder und Jugendliche führen wir häufig Gespräche mit Eltern, deren Kinder eine harmonische und gute, oft sogar überdurchschnittlich gute Entwicklung absolviert haben. Die meisten Eltern nehmen dann unsere Entwicklungseinschätzung mit Freude und oft auch einem gewissen Stolz auf, aber häufig folgt dann eine Frage wie: „Können Sie uns nicht ein paar Tipps geben, wie wir unser Kind noch besser fördern können?“ Eine solche Frage verblüfft zunächst, und man ist geneigt zu antworten: „Ihr Kind ist sehr gut entwickelt, es braucht keine besondere Förderung.“ Allerdings geben sich einige Eltern mit einer solchen Aussage nicht zufrieden, und deshalb erhalten Eltern von Kindern, bei denen keine Entwicklungsauffälligkeiten bestehen, von uns folgenden Vorschlag: „Spielen Sie bei ungeteilter Aufmerksamkeit täglich eine halbe Stunde mit Ihrem Kind, und lassen Sie Ihr Kind bestimmen, was gespielt wird!“ Dieser Ratschlag ist etwas anderes, als viele Eltern es von einem Experten zur kindlichen Entwicklung erwartet hätten. Vielen Eltern erscheint dies zu trivial, aber dieser Ratschlag ist gut überlegt. Es kommt dabei nicht auf die 30 Minuten an, auch bereits 15 Minuten entfalten eine starke Wirkung. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der mitspielenden Eltern für das Kind-im-Spiel festigt eine gemeinsame, stabile, emotionale Basis, auch das regelmäßig wiederkehrende Ritual unterstützt dies und vermittelt dem Kind Sicherheit. Die Situation ermöglicht es, erzieherisch auf das Kind einzuwirken, indem man es Freiräume gestalten lässt, gegebenenfalls Unterstützung gewährt und es mit neuen Herausforderungen konfrontiert; der Schwerpunkt sollte allerdings auf den Freiräumen liegen. Dabei sucht sich das gesunde Kind intuitiv solche Spielaktivitäten aus, die seinen Fähigkeiten, Neigungen und Interessen entsprechen und somit wichtige Impulse zur Entwicklungsförderung liefern.

Vertrauen Sie Ihrem Kind und spielen Sie einfach mit! Nehmen Sie sich selbst etwas zurück, seien Sie Ihrem Kind dabei einfühlender Partner, Vorbild, Unterstützer und rückmeldende Instanz. Aber nicht vergessen: Das Kind bestimmt, was gespielt wird. Zusätzlich sollten Eltern nicht vergessen: Ein Kind lernt nicht nur im Spiel, sondern auch im Alltag. Erstens erhalten Kinder im Alltag die Gelegenheit, Dinge zu beobachten, die sie im Spiel „verarbeiten“; zweitens bietet der Alltag reiche Möglichkeiten, andere Personen zu beobachten und durch deren Verhalten zu lernen (Vorbildlernen). Begeben Sie sich nicht bloß zu Ihrem Kind „herab“, sondern laden Sie es auch regelmäßig ein, zu Ihnen „hinauf“ zu kommen. Ob in der Küche, bei Reparaturen oder der Gartenarbeit: Hier finden Kinder die Möglichkeit, sich mit der Lebenswelt auseinanderzusetzen, sich selbst auszuprobieren, sich „Hausaufgaben“ mitzunehmen und diese später im Spiel zu „bearbeiten“. Ermöglichen Sie dem Kind zusätzlich Erfahrungen an anregenden Orten: Ein Waldspaziergang, ein Zoobesuch, der Besuch eines Schwimmbads oder eines Bauernhofs sind für ein Kind mit eindrucksvollen Erlebnissen verbunden und stellen in kindgerechter Weise die Erweiterung des Weltwissens sicher. Achten Sie danach einmal auf sein Spiel: Holt es auch mehrere Wochen nach dem Bauernhofbesuch noch immer die Tiere und den Traktor aus der Spielkiste? Baut es Zäune, Ställe, ordnet es nach großen und kleinen Tieren? Füttert es die Tiere und striegelt es das Pferd? Das Kind verarbeitet das Erlebte und hat dabei die Möglichkeit, sich selbst zu fördern! Sollten Sie zu dem Entschluss gelangen, Ihr Kind in einem bestimmten Bereich gezielt anregen und fördern zu wollen, bedenken Sie Folgendes: Eine Förderung sollte die bereits absolviertenEntwicklungsschritte aufgreifen und behutsam auf die nächsten Entwicklungsschritte hinlenken. Der Vergleich eines Kindes mit Gleichaltrigen liefert häufig nur sehr grobe Anhaltspunkte für seine individuelle Entwicklung. Normale Entwicklung vollzieht sich sehr variabel: Verschiedene gesunde Kinder können sich beträchtlich voneinander unterscheiden. Nicht jedes Kind durchläuft die gleichen Entwicklungsschritte (denken Sie an das Krabbeln), und auch die Spannbreite des normalen Entwicklungstempos ist erheblich: Zum Zeitpunkt der Einschulung variieren die motorischen Leistungen gesunder Kinder um ein Spektrum, das drei Jahren durchschnittlicher motorischer Entwicklung entspricht. Deshalb ist es sinnvoll, sich an dem aktuellen Entwicklungsstand eines Kindes zu orientieren und das Absolvieren der nächsten, unmittelbar bevorstehenden Entwicklungsschritte anzuregen und zu unterstützen.